Die Lage auf Lesbos ist auch nach dem Brand im Lager Moria prekär. Das neue Lager Kara Tepe ist momentan überschwemmt und absolut unzureichend ausgestattet. Es fehlt an Sanitäranlagen, aber auch an Essen. Die Evakuierung ist die einzige sinnvolle Konsequenz.

Manche „Gegenargumente“, die ständig in der Politik und in den Medien reproduziert werden, sind nichts anderes als eine kalte Verweigerung von Hilfe. Manche Unwahrheiten gehen sogar noch weiter und schüren Ressentiments gegen Menschen, die alles verloren haben.


„Wir haben schon so viele aufgenommen“

Lesbos 3Österreich hat seit der großen Fluchtbewegung im Jahr 2015 137.668 Menschen (1,3 % der österreichischen Bevölkerung) aufgenommen, wobei 18.433 Menschen freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt sind.

Ende 2019 waren 79,5 Mio. Menschen weltweit auf der Flucht. 73 % davon flohen in Nachbarländer, meistens Entwicklungsländer (80 %). Dagegen haben 2015 die EU28 nur insgesamt 6 % der weltweit Geflüchteten aufgenommen (von denen wiederum nicht alle einen positiven Bescheid erhalten haben). Sprich: Arme Ländern schultern die Flüchtlingskrisen, nicht die reichen Staaten der EU.


„Aufnahme würde einen‚Pull-Effekt‘ auslösen“

Für einen „Pull-Faktor“ bei der Aufnahme Geflüchteter gibt es keinen Nachweis. Nach der großen Fluchtbewegung 2015/2016 stiegen die Gesamtzahlen der Neuankünfte in der EU nicht an, sondern sanken stark. (2016: 373.652 / 2019: 123.663 Menschen). Das entspricht auch der Einschätzung von WissenschaftlerInnen für Migrationsforschung: Eine Studie des Migration Policy Centers zeigt etwa, dass es keinen Zusammenhang zwischen Seenotrettung und der Zahl der versuchten Überfahrten über das Mittelmeer gibt. Stattdessen sprechen ExpertInnen vom „Push-Faktor“, also Krieg und Verfolgung in den Herkunftsstaaten, die Menschen zur Flucht zwingen.


„Flüchtlinge sind kriminell“

Seit der großen Fluchtbewegung 2015 hatte Österreich weder einen Anstieg in der Kriminalität noch am Anteil nicht-österreichischer TäterInnen zu verzeichnen. Im Jahr 2015 kam es zu insgesamt 38.394 strafrechtlichen Verurteilungen in ganz Österreich, davon waren 12.857 (rund 40%) keine österreichischen Staatsangehörigen. Im Jahr 2019 gab es nur 29.632 Verurteilungen, wovon 12.459 (also rund 42%) nicht-österreichische Staatsangehörige waren. 

Dazu ist zu bedenken, dass in der Statistik nicht nur Geflüchtete, sondern sämtliche nicht-österreichische Staatsangehörige, wie etwa EU-BürgerInnen, geführt werden. Die Erhöhung der Anzahl Geflüchteter um rund 188.000 Menschen seit 2015/2016 hat also nachweislich weder zu einer Steigerung der Kriminalität noch zu einem Anstieg nicht-österreichischer StraftäterInnen geführt.

Zugenommen hat hingegen die Anzahl an Übergriffen gegen MuslimInnen mit einer Erhöhung von 158 im Jahr 2015 auf 1.051 im Jahr 2019 sowie die Anzahl an dokumentierten rassistischen Vorfällen von 927 im Jahr 2015 auf 1.950 im Jahr 2019.


„Österreich hat innerhalb der EU die größte Einbürgerungsquote“

Falsch: Österreich hatte 2016 EU-weit die niedrigste Einbürgerungsquote, 2018 die sechstniedrigste. Zurückzuführen ist das auf die restriktive Gesetzeslage, die teils unüberwindbare Hürden vorsieht.


„Hilfe vor Ort ist humaner als Aufnahme“

Die Menschen in Moria befinden sich in einer akuten Notsituation, laut Ärzte ohne Grenzen eskaliert die Lage aktuell völlig. Familien mit Kleinkindern saßen bei brütender Hitze auf der Straße, ohne Zelte, Decken, Nahrung oder Wasser, viele Menschen sind krank und bekommen keine medizinische Hilfe. Momentan steht das Camp unter Wasser. Viele Zelte können gar nicht genutzt werden. Griechenland ist völlig überfordert mit der Situation. Währenddessen stehen in Österreich zahlreiche Asylunterkünfte frei, die stillgelegt wurden, um bei Bedarf kurzfristig für schutzsuchende Menschen zur Verfügung zu stehen. 

Hilfe vor Ort ist natürlich ebenso wichtig, aber auch hier zieht Österreich im internationalen Vergleich nicht mit: Die Beiträge an UNHCR wurden von 8,3 Mio. € im Jahr 2017 auf 2,5 Mio. € im Jahr 2019 gekürzt. Österreich befand sich damit auf Platz 43 der UNHCR-Geberliste. Im Jahr 2020 leisteten die ähnlich reichen Staaten Deutschland rund 335 Mio. €, Dänemark 86 Mio. € und Schweden 90 Mio. € an Leistungen an UNHCR, Österreich im Vergleich dazu mit 5,8 Mio. € nur sehr wenig. 


Österreich muss seinen Teil dazu beitragen, diese Lager zu evakuieren. Wir dürfen nicht zusehen, wie tausende Kinder ihre Kindheit und Jugend in derartigen Zuständen verbringen müssen.

Die Bilder wurden uns freundlicherweise von der NGO "Corona Moria Awareness Team" aus dem Camp Kara Tepe in Lesbos zur Verfügung gestellt.